Wie Gott das Gute wirkt

„Wie im Himmel, so auf Erden!“, beten wir im Vaterunser um die Verwirklichung von Gottes heiligem Willen.
Betrachten wir, wie Gott Seinen Willen verwirklicht, so fällt auf: Sein Wille vollzieht sich, aber nicht so wie bei Menschen, hektisch und laut, sondern meist unmerklich und zurückhaltend, ja still und einfach!
Gott ist nicht wie wir, der anderen Seinen Willen mit Gewalt aufzwingen will. Er ist wie jemand, der auf einen anderen und auf dessen Liebe wartet!
Menschen fragen sich oft, warum Gott denn so zurückhaltend ist, warum Er denn nicht öfter mit donnernder Hand Seinen Willen kundgibt, warum Er sich denn nicht mit Gewalt durchsetzt, warum Er selbst den Widerspruch zum Guten und so auch das Böse zulässt, warum Er Seinen Willen nicht lauter kundtut, sondern oft nur ganz leise, so dass es fast nur die hören, die es hören wollen?
Was bedeutet dieses Wirken Gottes für uns und unser eigenes Tun und Streben? Was will Gott von uns und wie sollen wir dieses Sein Verhalten verstehen und mit unserem eigenen Tun verbinden?
Da wir das Gute nicht aus uns selbst haben und auch nicht aus uns selbst wirken können, sondern nur in Verbindung mit Gottes Gnade, ist es für uns sehr wichtig, darauf zu achten, wie Gott das Gute vollbringt, um uns selbst fruchtbar mit diesem Wirken Gottes verbinden zu können! Wenn Sein heiliger Wille im Himmel wie auf Erden geschehen soll, so müssen auch wir unseren Willen und unser Wirken diesem Walten Seiner Gnade anpassen.
Jeder weiß, dass er den anderen nicht mit einer Art „Brechstange“ zum Guten verändern kann. Wahre Liebe will Freiheit und achtet die Freiheit. Das ist der tiefste Grund für Gottes große Zurückhaltung. Er verbirgt sich manchmal auch, um die Schuld des Menschen nicht auf die Spitze zu treiben. Es ist eine Liebe, die das Böse nicht noch vermehren will, auch wenn sie die Freiheit achtet und es deswegen nicht völlig verhindert. Oder Er lässt ein Übel zu, weil in der von der Sünde bestimmten Welt das Gute nur wächst, wenn es geprüft wird, oder weil nur bei Schwierigkeiten Seine Gnade und damit die Bemühung um das wahrhaft Gute offenkundig und wirksam werden können!
Für den Menschen besteht nun die große Herausforderung darin, den richtigen Weg zwischen Zurückhaltung und „Gewalttätigkeit“ (Strenge) im Wirken des Guten zu finden. „Zurückhaltung“ kann ja für den Menschen auch schnell eine Ausrede werden, um sich für das Gute überhaupt nicht mehr einsetzen zu müssen. Und „Einsatzwille“ oder Eifer kann beim Menschen schnell in ein nicht an der Not des anderen, sondern am eigenen Ich orientiertes Durchsetzen des Eigenwillens werden, das nur noch scheinbar etwas wirklich Gutes wirken will und kann.
Jesus lehrt uns daher, um das Gute, um die Verwirklichung des Willens Gottes zu beten! In keiner anderen Religion wird der Mensch so radikal zur Verwirklichung des Guten aufgefordert wie im Christentum, doch in keiner anderen Religion wird dem Menschen so klar gesagt, dass er eigentlich zum Wirken des Guten aus sich gar nicht fähig, sondern in all seinem Tun immer auf die Gnade Gottes angewiesen ist!
Das hat damit zu tun, dass nur im Christentum die Wahrheit in ihrem vollen Anspruch und Gott selbst in Seiner wahren Gestalt und Heiligkeit uns gegenübertritt. Wo wir fern von Gott sind, mag es uns scheinen, dass wir die Wahrheit schon selbst „haben“, dass wir uns deswegen um sie entweder gar nicht mehr sonderlich bemühen brauchen oder aber dass wir sie durch unsere Anstrengung allein erworben haben und so auch durch unser Tun allein durchsetzen können und müssen.
Wo uns Gott dann aber selbst in Seiner Heiligkeit und vollkommenen Güte begegnet, merken wir, dass dies irrige und auf Irrwege führende Vorstellungen sind! Nur in Christus erkennen wir, dass wir das Gute nicht aus uns haben, sondern dass es uns geschenkt ist, und dass wir es somit nur fruchtbar werden lassen können mit der Hilfe und Gnade Gottes!
Das ist kein Grund, uns um das Gute selbst nicht mehr zu bemühen, sondern erst recht Ansporn, das, was unsere eigenen Kräfte übersteigt, mit der Hilfe Gottes anzustreben! Christliche Ethik besteht somit nicht in einem „Quietismus“, der so tut, als ob ein „Glaube allein“ genügen würde, ohne dass der Mensch sich um gute Taten und um die Verwirklichung der Liebe bemühen müsste! Gott hat den Menschen für die Liebe erschaffen und nicht für den „Glauben allein“! Die Liebe Gottes führt uns aber andererseits trotz ihres Anspruchs auch nicht in „titanenhaftes“ Gehabe oder in Selbstbespiegelung und Selbstbehauptung der eigenen angeblichen „Größe“ oder „Vollkommenheit“. Sie führt uns aus diesem wahnhaften Kreisen um uns selbst heraus, das uns nicht erlöst, sondern letztlich nur im Bösen gefangen hält.
In der Nachfolge Jesu Christi, in der Liebe, die Er uns gelehrt hat, geht es um das „Du“ Gottes und unseres Mitmenschen, der ja wie wir selbst auch als Ebenbild Gottes erschaffen wurde und uns so gegenübertritt. Das Gute können wir nicht als „Ich“ allein, sondern nur in Gemeinschaft mit Gott und in Dankbarkeit Seiner Güte gegenüber verwirklichen! Jesus Christus führt uns zur Gemeinschaft, zum „Wir“, letztlich in das Geheimnis des Dreifaltigkeit Gottes, in die Liebe Gottes und damit zur tiefsten Wahrheit selbst!
In unserer hektischen Zeit ist es sinnvoll, sich immer wieder neu daran zu erinnern, wie Gott Seinen Willen wirkt. Es geht in unserem Leben vor Gott immer nur um diese Seine Liebe! Diese Seine Liebe wirkt im Augenblick oft fast oder ganz unmerklich, im Ergebnis aber immer klar und erhaben. Aus den kleinsten Samen werden in Gottes Schöpfung riesige Gebilde. Wir können das zwar im Ergebnis feststellen, aber wir können es mit unseren Sinnen unmittelbar meist gar nicht wahrnehmen, so still und behutsam wirkt Gott! Für uns ist es, als ob gar nichts passiere, und doch sprengt ein kleiner Halm, der aus einem Samenkorn hervorgeht, die härtesten Felsen, ja wird schließlich zu einem gewaltigen Baum, was wir zwar nicht im Augenblick wahrnehmen und deshalb von da aus betrachtet fast nicht glauben und erst nach einer unermesslichen Reihe weiterer „Augenblicke“ dann plötzlich feststellen können!
Obwohl Gott alles in einem einzigen Augenblick bewirken kann, lässt er sich doch in seiner Schöpfung von unserem kleinen menschlichen Standpunkt aus betrachtet fast „unendlich“ viel Zeit! Nicht, weil Er so klein, sondern weil Er so erhaben und vollkommen ist, ja letztlich, weil Er selbst der Zeit nicht unterworfen, sondern die Zeit selbst auch Sein Geschöpf ist!
Gott hat keine Eile, sondern bei Ihm ist jeder Augenblick unendlich wertvoll. In jedem Augenblick wirkt Er unendlich Gutes und Großes, auch wenn das Meiste dem Menschen vorerst verborgen ist!
So ist es nicht nur mit der Schöpfung, sondern auch mit der Erlösung. Gott schuf und schafft fortdauernd die Welt und all seine Geschöpfe, nicht nur in einem Augenblick oder an einem einzigen Tag, obwohl Er es doch leicht vermöchte, sondern Er schuf alles erst im Lauf der von Ihm selbst gesetzten Zeit! Gott wirkt auch aber das Gericht und die Vollendung der Menschheit nicht in einem Augenblick. Er hat Zeit.
Dieses Wirken erst zur rechten und bestimmten Zeit ist keine Zeitverschwendung, sondern ein Geschenk! Deshalb sollen wir dieses Geschenk auch im Sinne der Liebe Gottes nützen. Auch unser menschliches Warten auf das Gericht und die Vollendung kann und soll deshalb nicht Zeitverschwendung sein, wie auch die Vorbereitung des Neuen durch den Alten Bund keine Zeitverschwendung war!
Aber unser Leben soll nicht in Hektik ausarten, die stets da ausbricht, wo Gott und das eigentliche Ziel der Schöpfung und des eigenen Lebens in den Hintergrund tritt oder ganz verdrängt wird! Hektik widerspricht dem wahren Leben, weil sie Gottes Wirken nicht entspricht. Fruchtbar kann unser Tun nur sein, wenn es ein Hinhören und Mitwirken mit den geheimen Plänen und Absichten des Schöpfers wird!
Nur so kann das Reich Gottes wachsen, in unseren Herzen, wie Jesus betont: „Das Reich Gottes kommt nicht in sichtbarer Weise. Man kann auch nicht sagen: Hier ist es oder dort. Denn seht, das Reich Gottes ist unter euch“ (Lk.17,20f.)! Es wächst, auch wenn es durch die menschliche Schwäche, die immer wieder Hektik und Lieblosigkeit hervorbringt, scheinbar behindert und immer wieder zurückgeworfen wird! Denn „mit dem Reich Gottes ist es wie mit einem Mann, der Samen auf das Land streut. Mag er schlafen oder Tag und Nacht hindurch wachen: der Same keimt und sprießt auf; wie, das weiß er selbst nicht. Von selbst bringt das Land Frucht, erst den Halm, dann die Ähre, zuletzt das volle Korn in der Ähre“ (Mk.4,26ff.).
Viele Menschen beschleicht angesichts mancher düsteren Weltereignisse, die von uns Menschen oft nicht kontrollierbar sind, Zukunftsangst und Pessimismus. Liegt dies aber nicht auch weitgehend daran, dass sie das Vertrauen auf das Wirken Gottes oder gar den Glauben an Ihn verloren haben? Dass sie alles selbst „kontrollieren“ wollen, ja dass sie Gott vorschreiben wollen, wie Er gefälligst zu handeln hat?
Aber wissen wir denn, wie Gott einen Baum erschafft? Wissen wir, warum Seine Liebe scheinbar so still und scheinbar fast unendlich zuwartend ist?
Wenn wir in Gottes Schöpfung betrachten, wie viel Großes und Schönes Gott in völliger Ruhe, aber mit vollkommener Sicherheit vollbringt, können wir vielleicht in Ansätzen verstehen, dass Gottes scheinbares Schweigen von uns oft völlig falsch verstanden wird! Von unserem beschränkten Horizont aus scheint uns Gott vielleicht oft abwesend. Erst allmählich, wenn wir uns öffnen, erkennen wir, wie nah Er uns gerade in den scheinbar schwierigen Situationen ist und war, ja, wie Er alles immer in Seiner Weisheit zum Guten lenkt! Das scheinbare Schweigen Gottes ist bei genauer Betrachtung immer nur ein Schweigen, das von Seiner Güte und Gnade bestimmt und das von Seiner allmächtigen Weisheit genau bemessen ist. Oft ist es eigentlich gar kein Schweigen, sondern eher ein stilles Reden wie ein vertrauliches Nicken, auf das wir achten müssen, wenn wir es verstehen wollen!
Nicht wir sind es letztlich, die das Reich Gottes wachsen lassen können. Wir können nur an Gottes Werk Anteil nehmen, indem wir selbst da, wo es uns möglich ist, mit Seiner Gnade und Güte mitwirken und den Samen, der uns anvertraut wurde, nach Kräften ausstreuen und zum Keimen bringen helfen!
Dort, wo sich der Mensch so dem Wirken des Heiligen Geistes öffnet, schenkt Er auch heilige Frucht! Dort, wo diese Bereitschaft abnimmt oder wo der Mensch alles aus eigener Kraft machen und „vollenden“ und somit nach eigener Meinung "schnell erzwingen" will, kann sich diese wahre Fruchtbarkeit der Gnade Gottes nicht entfalten!
Wie sollen oder können wir in unserer heutigen glaubens- und morallosen Gesellschaft also überhaupt noch etwas Gutes bewirken? - Wenn wir in die Geschichte der Menschheit blicken, erkennen wir, dass die Verhältnisse hier auf Erden seit dem Sündenfall immer von der Sünde bestimmt und noch nicht wirklich vollkommen waren. Wir staunen, wie viel Geduld Gott dennoch in all diesen Jahrhunderten und Jahrtausenden für die Menschen aufgebracht hat. Es ist Seine Liebe, die sich aus Rücksicht auf den Menschen Zeit lässt, die nicht einfach dreinschlägt und alles blind oder rachsüchtig vernichtet, wie wir Menschen dies vielleicht tun würden oder es auch von Gott erwarten.
Ist es nicht erstaunlich, wie viel Zeit sich Gott lässt (obgleich wir uns deswegen nicht darauf „ausruhen“ sollen, sondern die Zeit, die Er uns gibt, zur Umkehr nützen sollen, wie Jesus uns immer wieder einschärft)?
Machen wir uns bewusst, dass unser Leben nur in der Gnade Gottes fruchtbringend werden kann! Nur in der Liebe Gottes findet die ganze Schöpfung ihre wahre Sonne! Nur Er schenkt ihr die reine Luft des heiligen Geistes zum Atmen der Seele, die das Wachstum in der Heiligkeit und das immer tiefere Eindringen in die Erkenntnis der Wahrheit ermöglicht!
Lassen wir uns so von Seinem Heiligen Geist führen, stellen wir nicht unser eigenes Tun in den Vordergrund, sondern bitten wir, dass dieser Sein Heiliger Geist immer mehr in das Heilige Wirken Gottes einführt und uns damit auch Anteil nehmen lässt!
Nur so wird es uns gelingen, die Bitte des Vaterunser im eigenen Leben, aber auch im Leben der ganzen Welt wirklich nach Gottes Willen zu sprechen und an ihrer Verwirklichung zu mitzuarbeiten: „Zu uns komme Dein Reich! Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden!

Thomas Ehrenberger

 

 

 

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